Europäische Automobilzulieferer: Handlungsoptionen in schwierigem Marktumfeld

Angesichts des angespannten wirtschaftlichen Umfeldes erholen sich die europäischen Automobilzulieferer nur langsam. Welche kurz- und langfristigen Maßnahmen können sie ergreifen, um zu bestehen - und zu wachsen?
12. September 2023
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Der von der COVID-19-Pandemie schwer gebeutelte europäische Automobilmarkt ist weiterhin in der Erholungsphase. In der EU legten die Neuzulassungen im Juni den elften Monat in Folge zu und stiegen im Vergleich zum Vorjahresmonat um 18 Prozent auf über 1.045.000 Fahrzeuge, so die Angaben des Europäischen Verbands der Automobilhersteller.¹ Für ein Segment der europäischen Autoindustrie läuft es jedoch nicht ganz so rund: die Zulieferbranche. Bei vielen Zulieferern ist die finanzielle Situation aufgrund mehrerer Belastungsfaktoren sehr angespannt.

Da ist zunächst die Inflation, die in den letzten zwei Jahren enorme Kostensteigerungen bei Rohstoffen, Energie und Löhnen verursacht hat und Erträge sowie Liquidität belastet. In manchen europäischen Regionen verteuerten sich die Gaspreise im Jahr 2022 gegenüber dem Vorjahr um mehr als 1.000 Prozent, die Strompreise stiegen teilweise um über 250 Prozent. Ein weiteres Problem sind die Verkaufszahlen bei Neufahrzeugen, die trotz der jüngsten Erholung immer noch weit unter dem Vor-Pandemie-Niveau liegen. Dadurch bestehen erhebliche Überkapazitäten. Auch sind die Störungen in den Lieferketten noch nicht ganz überwunden und führen zu starken Schwankungen der Lieferabrufe.

All diese Probleme setzen die europäischen Zulieferer unter massiven Druck, bei manchen in existenzbedrohlichem Ausmaß. Die Zulieferbranche kann jedoch bestimmte Maßnahmen ergreifen, um diesen Druck abzubauen und sich kurz- und langfristig besser zu positionieren.

Kurzfristige operative Maßnahmen

Sofern noch nicht bereits geschehen, sollten Zulieferer alle Chancen zur Kostensenkung gründlich ausloten. Hierzu gehört die Anpassung der Kapazitäten. Die Geschäftsführungen sollten insbesondere die geografische Präsenz ihres Unternehmens ins Visier nehmen und prüfen, ob die Größe der einzelnen Standorte zur erwarteten Umsatzentwicklung passt. Auch Standortprofitabilität und Zustand der Maschinen und Anlagen sind genau zu prüfen.

Eine andere wichtige Kurzfristmaßnahme besteht darin, neue Formen der Kooperation mit Kunden (d. h. den Fahrzeugherstellern oder „OEMs“) zu finden und Vertragskonditionen nach Möglichkeit zu verbessern. Eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiche Verhandlungen ist die genaue Analyse und transparente Darstellung der Kostensteigerungen sowie der bereits durchgeführten oder geplanten Optimierungsmaßnahmen. Ebenso sollten Zulieferer vorhandene Ansprüche bewerten und flexiblere Preismodelle vereinbaren.

Zusätzlich sollten die Geschäftsführungen versuchen, die Lieferketten weiter zu stabilisieren. Das bedeutet unter anderem, das eigene Lieferantennetzwerk zu stärken, sich noch enger mit den Kunden zu vernetzen sowie neue Wege in der Transport- und Lagerlogistik zu finden.

Strategische Maßnahmen

Zu den strategischen Maßnahmen zählt die Definition der zukünftigen Kernkompetenzen und die Ableitung der Auswirkungen auf die Organisation.

Von hoher Bedeutung ist die richtige Einschätzung und Priorisierung der globalen Wachstumschancen. Hier ist zum einen der stark wachsende Markt für Elektrofahrzeuge (EV) zu nennen, zum anderen gezielte Investitionen in langfristig wachsende Regionen – und OEMs.

Wie von uns bereits in einem früheren Artikel gezeigt, dominiert China den globalen Markt für EVs mit einem Anteil von 61 Prozent aller 2022 verkauften Fahrzeuge. Eine Untersuchung der einzelnen OEMs zeigt, dass im Zeitraum von 2019 bis 2022 lokale chinesische Marken ihre Produktion in China um 25 Prozent ausbauten, während internationale Marken dort einen Rückgang von 8 Prozent verzeichneten. Auch im globalen Automobilmarkt zählen chinesische Marken zu den Gewinnern.

Auch wenn der Marktanteil chinesischer OEMs derzeit noch gering ist, treiben sie die weltweite Expansion, vor allem in Europa, zielgerichtet voran. Momentan stehen Importe noch im Vordergrund. Es ist aber davon auszugehen, dass chinesische OEMs zukünftig in Europa auch produzieren. Für europäische Zulieferer ist es daher eine zentrale Aufgabe, vermehrt chinesische OEMs als Kunden zu gewinnen.

Auch die USA bieten hohe Wachstumschancen für Zulieferer: Ein wichtiger Grund ist die steigende Nachfrage nach EVs, ein weiterer sind staatliche Programme: Der „Infrastructure Investment and Jobs Act“ von 2021 sieht Investitionen in Höhe von 7,5 Mrd. US-Dollar für die Errichtung eines nationalen Netzes mit 500.000 EV-Ladestationen vor. Mit dem „Inflation Reduction Act“ von 2022 werden Kredite zur Unterstützung von Herstellern bei der Umrüstung bestehender Werke auf EVs² vergeben.

Fazit

Viele europäische Automobilzulieferer befinden sich aktuell in einem schwierigen Marktumfeld. Es kommt jetzt darauf an, die vorhandenen Potenziale zur Kostenreduktion entschlossen zu nutzen und gleichzeitig die Basis für zukünftiges Wachstum zu legen. Eine Konsolidierung der Branche zeichnet sich ab. Der Verkauf strategisch weniger relevanter Geschäftsfelder sollte in Betracht gezogen werden. Und Marktteilnehmer mit den vorhandenen finanziellen Mitteln sollten die Chance für günstige Zukäufe proaktiv nutzen.

Fußnoten:

¹ : Umfasst Neuzulassungen in der Europäischen Union.

²: „Fact Sheet: President Biden’s Economic Plan Drives America’s Electric Vehicle Manufacturing Boom.“ Das Weiße Haus. (14. Se

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